Wieso wollen Kinder teure Marken-Sneakers?
Kinder haben einen Überlebensauftrag. In der Schule erleben sie zum ersten Mal, wie es ist, weg von zu Hause zu sein. Ihre Instinkte sind darauf programmiert, sich der größten Gruppe anzuschließen.
3. Juni 2024 Lesezeit: 6 Min
Inhalt
Ich war neun Jahre alt, als ich das erste Mal den Wunsch nach Marken-Turnschuhe entwickelte. Sie hießen „Adidas Jeans“. Mit Jeans hatten die Schuhe im Übrigen nichts zu tun, sie wurden dahingehend vermarktet, dass sie gut zu Blue Jeans passten. Es handelte sich um einen Laufschuh aus taubenblauen Veloursleder mit drei dunkelblauen Streifen auf der Seite, klassischer Keilsohle und dem typischen Hallenprofil.
Für die jungen spielen Marken eine wichtige Rolle
Marken spielen bei jungen Menschen eine enorm wichtige Rolle. Dies zeigt sich deutlich in der Shell-Jugendstudie, die Daten über die Einstellungen von Jugendlichen zu Markenbekleidung erhoben hat. 77,5 Prozent gaben an, dass sie Markenkleidung als besonders wichtig erachten, während nur 22,5 Prozent meinten, dass Marken für sie nicht wichtig seien. Im Fokus der Jungen stehen Kleidung von Marken wie Nike und Adidas, sowie Mobiltelefone.
Damals war Markenkleidung für Kindern neu
Meine dachte gar nicht daran, teure Markenschuhe zu kaufen, aus denen ich in ein paar Monaten herausgewachsen sein würde.
„Wir gehen zum Discounter und holen für dich etwas in der Art.“
Meine Mutter
Aber für mich kam etwas „in der Art“ natürlich nicht in Frage. Dazu musste man in ein Sportfachgeschäft.
Die anderen Kinder haben es ja auch
Ich hielt meine Argumente für stichhaltig, denn es war ja der wahre Grund: „Die anderen in meiner Klasse haben diese Schuhe auch.“ Sicherlich wissen Sie bereits, was ich jetzt zu hören bekam, denn Sie haben diese Worte selbst unzählige Male zu Ihren eigenen Kindern gesagt: „Nur weil andere es haben, heißt das nicht, dass wir es brauchen.“ Oder in der verschärften Form: „Wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?“
Der Grund für meine Obsession hieß Erich. Er war der größte, stärkste, und nach meiner Meinung der nachahmenswerteste Junge der Klasse. Er war der Meinungsführer meiner Peergroup, mein Influencer. Erich besaß diese Schuhe nicht nur, er trug sie mit einer unnachahmlichen Würde. Er hatte sie offenbar schon so lange, dass das taubenblaue Wildleder eine graue Patina bekommen hatte, die die Schuhe noch wertvoller erscheinen ließ. Erich war ein Siegertyp, und dieser Schuh war das Symbol des Siegerteams.
Die Rolle des Sport-Sponsoring
Aber es war nicht allein Erich, der zu meiner Obsession geführt hatte. In diesem Jahr erwartete ich das wichtigste Ereignis meines jungen Lebens, die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien. Für einen neunjährigen Jungen ist Fußball die wichtigste Sache der Welt.
Mein Bett war voll mit Aufklebern der Spieler, und an meinem Schlüssel baumelte ein Gauchito, das Maskottchen der Weltmeisterschaft. Die ganze Klasse sammelte die Aufkleber mit den Portraits der Spieler, die wir in unser Panini-Sammelalbum einklebten, und um die ein reger Tauschhandel entbrannt war. Von den Abläufen und den Regeln des Bewerbs hingegen verstand ich wenig.
In den 70er-Jahren beherrschte Adidas den Markt
Doch mir fiel etwas auf: ein Großteil der Mannschaften, die bei dieser WM antraten, waren in Adidas-Trikots eingekleidet. Nahezu alle Spieler hatten drei Streifen auf den Schultern. Nur Österreich trat bei diesem Bewerb in Dressen der Marke Puma an, was ich als ganz große Schande empfand.
„Wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?“
Meine Mutter
Ich wußte damals nicht, dass Puma und Adidas die Unternehmen zweier Brüder waren, Adi und Rudolf Dassler, die im fränkischen Herzogenaurach Fußballschuhe und später Sportbekleidung produzierten. Adidas beherrschte in dieser Zeit den Markt, insbesondere im Fußball. Das damals noch junge Unternehmen Nike interessierte sich noch nicht für die Sportart, die in den USA wenig populär war.
Für mich war die Weltmeisterschaft längst entschieden, Adidas hieß das Siegerteam, und Puma war der, mit dem im Pausenhof keiner spielen wollte. Als neunjähriger möchte man alles nur kein Außenseiter sein und in diesen beiden Marken spiegelte sich der ganze Weltschmerz meines Daseins. Nächte lang lag ich wach und grübelte, wie das österreichische Team doch noch zu Adidas-Trikots kommen könnte.
Die Rolle des Sport-Sponsoring
1978 erlaubte die FIFA den Ausstattern erstmals bei einer WM, das Logo auf der Kleidung der Spieler zu zeigen. Bei der WM 1974 in Deutschland zierten die Dressen lediglich das Embleme des jeweiligen Fußballbundes. 1978 in Argentinien waren erstmals die Logos von Adidas, Erima, Umbra und Puma zu sehen. Adidas beherrschte in dieser Zeit den Markt, insbesondere im Fußball. Das damals noch junge Unternehmen Nike interessierte sich noch nicht für die Sportart Fußball, die in den USA wenig populär war.
Auch das offizielle Sponsoring der FIFA WM von Cocal Cola startete im Jahr 1978. Es war der Wendepunkt zur Kommerzialisierung des Fußballs und ich wurde als Kind auf Adidas und Coca-Cola geprägt.
Kinder haben einen Überlebensauftrag
Als Erwachsene vergessen wir oft, dass Kinder einen Überlebensauftrag haben. In der Schule erleben sie zum ersten Mal, wie es ist, weg von zu Hause zu sein und für sich selbst sorgen zu müssen. Da Kinder alleine nicht lebensfähig wären, sind ihre Instinkte darauf programmiert, sich der stärksten Gruppe anzuschließen.
Dazu eignen sie sich die Symbole des Stammes an, um Zugehörigkeit zu demonstrieren. So erkennen sie die anderen als Mitglied des selben Stammes und stehen ihnen bei, wenn eine Überschwemmung droht, eine Hungersnot oder der Säbelzahntiger.
Auch sind sie in der Schule zum ersten Mal in der Situation, ihre Rolle und ihren Wert in einer Gemeinschaft außerhalb unserer Familie zu etablieren. Kinder stehen dabei unter erheblichem Druck und angesagte Marken präsentieren sich als willkommene Statusbeschleuniger.
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Armin Bonelli
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Lesezeit: 6 Min