Wie Marken die österreichische Identität prägen

Manner, Almdudler und Schwedenbomben sind in Österreich besonders beliebt, sagt eine aktuelle Studie. Das hat mit der nationalen Identität zu tun.
3. März 2025
Lesezeit: 10 Min
Inhalt
Die aktuelle Studie „Brand.Diamonds“ präsentiert Österreichs Markenstars 2024. Dazu hat die Marktforschungsagentur Marketagent 230.000 Bewertungen von 1.266 Marken erhoben.
Bemerkenswert ist dabei, dass Manner das Ranking mit großem Vorsprung anführt. Aber auch andere nationale Food-Marken wie Almdudler und Niemetz Schwedenbomben scheinen weit oben in der Tabelle auf. Wieso sind diese nationalen Süßwarenmarken so beliebt, dass sie ihre internationalen Mitbewerber wie Coca-Cola, Lindt und Merci auf die Plätze verweisen?
Der Fall Niemetz

Niemetz Schwedenbomben
Als Niemetz, der österreichischer Hersteller von Schaumküssen mit der Bezeichnung „Schwedenbomben“, im Jahr 2013 Insolvenz anmeldete, war der öffentliche Aufschrei groß.
Während sonst Unternehmenspleiten oft mit kühlem Bedauern hingenommen werden, war der Fall Niemetz anders: Eine Welle der Solidarität schwappte über das Land. Künstler, Journalisten und Meinungsmacher setzten sich öffentlich für den Erhalt der Schwedenbomben ein, Werber entwarfen ohne Auftrag und Bezahlung Kampagnen für die Schwedenbomben, Fotografen bildeten die Süßigkeiten wie Kunstwerke ab. Mehrere Initiativen zur Rettung der Marke wurden ins Leben gerufen, Medien berichteten ausführlich über den nationalen Notstand, und die Kunden deckten sich in Panik mit den letzten verfügbaren Packungen ein. Aber warum? Immerhin gab es vergleichbare Produkte, zum Beispiel von Dickmann’s.
Wieso rief der drohende Verlust einer Süßwarenmarke solche Emotionen hervor? Diese Frage führt uns zu einem bekannten Phänomen: Marken sind längst mehr als Produkte – sie sind Identitätsstifter. In Österreich gibt es einige Marken, die tief in der kollektiven Identität der Bevölkerung verwurzelt sind. Manner, Almdudler und Niemetz sind mehr als Süßigkeiten – sie sind kulturelle Symbole.
Marken als Identitätsstifter

Manner „Neapolitaner“ Schnitten
Marken dienen als Heimatanker in einer Welt, die sich immer schneller verändert. In einer Studie von Esch aus dem Jahr 2012 über Markenbindung konnte man nachweisen, dass starke Marken emotionale Sicherheit bieten und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe oder Nation verstärken. Manner, Almdudler und Niemetz Schwedenbomben sind nicht einfach nur Genussmittel – sie repräsentieren das „Österreichische“ in einer besonderen Form, die über Geschichte, Sprache und Politik hinausgeht. Im Fall Niemetz sind die Schwedenbomben zudem der österreichische Gegenpol zu den deutschen Dickmann’s.
Besonders in einem Land mit einer komplexen historischen Identität – von der Donaumonarchie über den Anschluss ans Dritte Reich bis hin zur EU-Integration – können Marken eine gewisse Kontinuität bieten. Sie erzählen Geschichten von Beständigkeit und Tradition und helfen so, ein Gefühl der nationalen Zugehörigkeit aufrechtzuerhalten, während sich die gobalisierte Welt verändert.
Die Rettung der Niemetz Schwedenbomben war mehr als nur ein wirtschaftliches Ereignis – sie war ein symbolischer Akt. Es ging nicht nur um eine Süßigkeit, sondern um ein Stück kollektives Gedächtnis. Die Reaktion auf die Insolvenz zeigte, dass Marken eine tiefere, kulturelle Bedeutung haben können: Sie sind nicht bloß Produkte, sondern emotionale Anker, die Zugehörigkeit, Tradition und Identität vermitteln.
Moderne Symbole und Rituale
Symbole und Rituale sind zentrale Bestandteile jeder kulturellen Identität. Während früher Nationalwappen, Religion oder bestimmte Bräuche diese Funktion übernahmen, treten heute oft Marken an diese Stelle. Marken sind Vermessungspunkte, an denen wir Werte und Verhaltensnormen festmachen. Sie haben sich längst als Stützsystem unserer Gesellschaft etabliert und damit Stände, Glaubensgemeinschaften und sogar die Familie zu einem Gutteil abgelöst.
„Marken haben sich längst als Stützsystem unserer Gesellschaft etabliert.“
Armin Bonelli
Rituale sind regelmäßig wiederkehrende Handlungen oder Ereignisse, die heute oft mit einer Marke verbunden sind. Diese Rituale können verschiedene Formen annehmen, wie das morgendliche Kaffeetrinken mit einer bestimmten Kaffeemarke oder das jährliche Treffen von Fußballfans bei einem wichtigen Spiel. Rituale erweitern ein Produkt um ein Erlebnis, sie schaffen eine gemeinsame Erfahrung und stärken die Bindung der Kunden zur Marke.
Moderne Marken initiieren gemeinsame Erlebnisse durch die Abhaltung von Ritualen, durch die sie ihre Anhänger zusammenbringen und ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit geben. Marken sind längst nicht mehr Anbieter von Produkten, sie bilden Zentren für soziale Bindungen, die unser Bedürfnis nach Gemeinschaft und Individualität geschickt miteinander verbinden.
Der Akt des Teilens einer Manner-Schnitte oder das gemeinsame Trinken eines Almdudlers auf einer Berghütte ist mehr als nur Konsum – es ist ein modernes Ritual, das Gemeinschaft stiftet und als Symbol für Identität fungiert. Eine Untersuchung des Soziologen Grant McCracken zeigt, dass Marken nicht nur wirtschaftliche, sondern eben auch kulturelle Bedeutung haben, indem sie alltägliche Rituale und Traditionen prägen.
Nostalgie und Kontinuität

Almdudler Flasche
Die von uns betrachteten Marken haben alle eine lange Tradition. Manner und Niemetz wurden beide im Jahr 1890 gegründet, Almdudler im Jahr 1957. Diese Zeitspanne schafft eine emotionale Bindung über Generationen hinweg.
Für Konsumenten sind Marken vertraute Gesichter und zuverlässige Begleiter. Laut einer aktuellen Studie mögen 73 Prozent der Menschen Retro-Marken. Davon zeugt auch die Beliebtheit der Retro-Autos Fiat Cinquecento und Mini. Gerade in einer Zeit, die wir durch Pandemie, Kriege, Klimakrise und Inflation als unsicher und bedrohlich erleben, versprechen Marken aus der guten alten Zeit nicht zuletzt Sicherheit und Stabilität.
„Laut einer aktuellen Studie haben 73 % der Menschen eine Vorliebe für Retro-Marken.“
Armin Bonelli
Der Wert von Nostalgie in der Markenbindung ist auch wissenschaftlich belegt: Eine Studie von Loveland, Smeesters und Mandel aus dem Jahr 2010 zeigt, dass nostalgiegetriebene Marken eine stärkere emotionale Bindung erzeugen und Konsumenten sich diesen Marken besonders loyal gegenüber verhalten. Diese Nostalgie trägt dazu bei, dass sich Menschen durch den Konsum nicht nur an ihre Kindheit, sondern auch an ein „echtes“ Österreich erinnern, das in Zeiten der Globalisierung manchmal bedroht scheint.
Kulinarische Identität und Nationalstolz

Das Almdudler Trachtenpärchen
Kulinarik ist ein besonders starker Träger nationaler Identität. Während Italien durch Pizza und Pasta und Frankreich durch Coq au Vin oder Quiche Lorraine berühmt ist, sind es in Österreich oft vertraute Süßigkeiten, die das Nationalgefühl stärken. Interessanterweise handelt es sich bei den beliebtesten Marken nicht um gehobene Gourmetprodukte, sondern um alltägliche Klassiker, die in ihrer Einfachheit ein Stück Heimat vermitteln.
Die Marken Manner, Niemetz und Almdudler betonen in ihrer Kommunikation stets „echtes Handwerk“ und „österreichische Qualität“ – zwei Werte, die im nationalen Selbstbild tief verankert sind. Auch ihre Werbung ist oft humorvoll, charmant und in einem lockeren Dialekt gehalten, der den Österreicher als lebensfrohen Genießer inszeniert.
Gleichzeitig spielt Nostalgie auch eine politisch-gesellschaftliche Rolle: Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Österreich, sich als „süß und harmlos“ zu inszenieren – ein Land, das mehr für Mozartkugeln als für seine Vergangenheit bekannt sein wollte. Der Fokus auf Mehlspeisen, Schokolade und andere süße Genussmittel trug dazu bei, eine nationale Erzählung zu formen, die sich von der problematischen Geschichte distanzierte. Marken wie Manner, Niemetz und Almdudler passten perfekt in dieses Bild und halfen mit, eine Identität zu begründen, die Wärme, Gemütlichkeit und Friedfertigkeit betonte.
„Süße Marken trugen dazu bei, eine nationale Erzählung zu formen, die sich von der problematischen Geschichte distanzierte.“
Armin Bonelli
Im Fall Niemetz haben wir gesehen, dass die nationale Identität besonders stark mit einer Marke verknüpft wird, wenn sie als Gegenpol zu einem prominenten deutschen Mitbewerber fungiert. Dickmann’s wird nicht zuletzt wegen seinen Werbspots als besonders deutsch empfunden. Die Schwedenbomben markieren die Unterscheidbarkeit und die Abgrenzung des Österreichischen zum Deutschen.
Fazit
Die Süßwarenmarke Manner führt das Ranking der beliebtesten Marken an. Aber auch Niemetz und Almdudler sind tief in der kollektiven Erinnerung verankert und stehen für viele Aspekte der österreichischen Identität. Diese Marken gehören quasi zu den nationalen Kulturgütern. Der Fall Niemetz zeigte, dass die Bevölkerung vieles zu dulden bereit ist, solange sie ihre identitätsstiftenden Marken nicht verliert.

Mehr zu diesem Thema gibt es in meinem Buch. Es ist im Buchhandel und online zum Preis von 22 Euro* erhältlich.
* Unverbindliche Preisempfehlung
Armin Bonelli
3. März 2025
Lesezeit: 10 Min