Was ist Apple: Marke oder Religion?
Apple verfügt über eine eingeschworene Gemeinschaft, hält mystischen Rituale ab und präsentiert Produkte wie Reliquien.
2. Dezember 2024 Lesezeit: 9 Min
Die Marke Apple wird oft mit einer Religion verglichen, weil sie eine loyale Anhängerschaft besitzt: die „Apple-Jünger“. Das Unternehmen präsentiert seine Produkte gern als Kultobjekte, indem es die Einführung jedes neuen Geräts mit einer Mystik erfüllt, die religiösen Ritualen ähnelt. Die Produkte selbst werden dabei als makellose Artefakte dargestellt. Apple fördert außerdem eine Gemeinschaft von Anhängern, die sich mit den Werten und der Vision der Marke identifizieren, ähnlich wie bei Religionsgemeinschaften. Aber ist Apple tatsächlich eine Religion?
Der Glaube an einen Gott
„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ Was Moses in seinem zweiten Buch „Exodus“ unmissverständlich klarmachte, ist das wichtigste Gesetz aller monotheistischen Religionen. Auch Apple hat uns eine Form des Eingottglaubens beschert, indem der Tech-Riese seinen Kunden einen proprietären Standard aufzwang. Betriebssystem, Software und Kabelanschlüsse funktionieren nur mit den eigenen Produkten. Wer die Angebote von Apple nutzen möchte, wird so ermutigt, andere Geräte ebenfalls von Apple zu besorgen.
Die Symbole
Die drei monotheistischen Weltreligionen werden von klaren Symbolen repräsentiert. Diese Zeichen sind sehr einfach, sodass sie in unterschiedlichen Darstellungsformen von weitem erkennbar sind. Sie haben in den jeweiligen Kulturen viele Spuren hinterlassen.
Das Logo von Apple ist ebenfalls ein einfaches Symbol. Ursprünglich hatte es den Firmennamen im Logo, das dadurch vergleichsweise komplex und darüberhinaus an das lateinische Schriftsystem gebunden war. Als Apple zum globalen Superstar aufstieg, entfernte man den Namen aus dem Logo. Der Apfel ist universell und überall auf der Welt erkennbar.
Die Tempel
In allen Religionen finden wir sakrale Bauwerke. Diese geweihten Häuser werden als Aufenthaltsort der jeweiligen Gottheit verstanden. Auch Reliquien und Heiligtümer werden in solchen in Bauten aufbewahrt. Daneben dienen Tempel zur Versammlung der Gläubigen, man trifft sich zum Gebet und zur Abhaltung von Ritualen. Solche Bauten fungieren außerdem als deutlich sichtbare Wahrzeichen des Glaubens im öffentlichen Raum, daher haben sie meist eine Sonderform und heben sich von den anderen Gebäuden der Umgebung ab.
Im Jahr 2001 hat Apple seinen ersten Store eröffnet. Der Einstieg Apples in den Einzelhandel erschien zu diesem Zeitpunkt zunächst nicht unbedingt logisch. Apple verfügte bereits über ein großes Netz an Vertragshändlern, vor allem aber hatte der Konzern nur vier Produktkategorien im Angebot, mit denen die große Fläche auf den ersten Blick gar nicht zu füllen gewesen wäre.
„Apple-Stores sind moderne Kathedralen.“
Aus dem Buch „3 Streifen, 4 Ringe, 1 Apfel“
Viele Apple Stores, wie die in New York und San Francisco, weisen Gemeinsamkeiten mit sakralen Gebäuden auf. Es sind Landmarks mit Fernwirkung, deren Raumgrößen die eigentliche Verkaufsfläche um ein vielfaches übersteigt. Wie bei Kathedralen haben die überwältigenden Hallen weniger funktionalen als vielmehr symbolischen Charakter. Hier sollen die Menschen Staunen und Ehrfurcht erleben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Läden werden in diesen Flagshipstores die Produkte wie Heiligtümer und Reliquien ausgestellt. Apple hält Gemeinschaftstreffen und Seminare ab, und an der Genius Bar findet eine moderne Art der Seelsorge statt. Es geht in diesen Hallen nicht nur ums Verkaufen, sondern darum, den Menschen die Möglichkeit zu geben, die Marke zu erleben und zu verehren.
Die Story
Ein wichtiges Elemente jeder Religion bilden die Legenden über das Leben ihrer Gründer. Das gemeinsame Erleben dieser Geschichten stärkt und verbindet die Gläubigen und schafft ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Meist wurden diese Geschichten in einem Buch zusammengetragen, das in Folge selbst zu einem Heiligtum wurde. Diese Geschichten vermitteln den Gläubigen in erzählerischer Form moralische Werte und Handlungsanweisungen.
Steve Jobs, Mitgründer von Apple, war ein Adoptivkind. Seine leiblichen Eltern waren eine amerikanische Studentin und ein syrischer Einwanderer. Jobs selbst bewegte sich sein Leben lang zwischen einem spirituell-asketischen Lebenswandel und dem Traum, ganz Großes zu bewirken.
Um der Kindestötung durch den Pharao zu entgehen, wurde auch Moses nach der Geburt ausgesetzt. Gerettet und aufgenommen wurde der Säugling ausgerechnet von der Tochter des Pharaos selbst. Am Ende befreit Moses die Israeliten aus der Sklaverei der Ägypter. Steve Jobs wurde zwar nicht im Nil ausgesetzt, aber zur Adoption freigegeben. Manche behaupten, er befreite die Menschen aus der Dominanz der seelenlosen IBM-PCs.
Vor der Erfindung des Islam verehrten die arabischen Stämme eine Vielzahl an Gottheiten. Ein junger Mann namens Mohammed hatte die Idee vom Glauben an einen einzigen Gott. Da er nicht locker ließ, wurde er den Bewohnern seiner Heimatstadt Mekka bald lästig und sie planten seine Ermordung. Mohammed gelang die Flucht nach Medina, wobei er fünf seiner engsten Freunden mitnahm. Dort entwickelte er die Gemeindeordnung von Medina, eine Art Regelwerk für eine Gesellschaftsordnung im Sinne einer neuen Religion, dem Islam. Nach einigen Kämpfen mit den alteingesessenen Machthabern setzte sich Mohammed schließlich mit seiner neuen Ordnung durch.
„Das Leben von Steve Jobs liest sich wie die Geschichten von Jesus und Mohammed.“
Aus dem Buch 3 Streifen, 4 Ringe, 1 Apfel
Auch hier liest sich die Geschichte von Steve Jobs ganz ähnlich. In den 1980er-Jahren war Steve Jobs dem Vorstand von Apple lästig geworden. Er hatte zu viele verrückten Ideen und seine Entwicklungen kosteten dem Unternehmen viel Geld. Jobs hatte gerade den Macintosh entwickelt, der sich nur schleppend verkaufte. 1985 wurde Jobs aus dem von ihm gegründeten Unternehmen vertrieben, wobei ihm fünf seiner engsten Mitarbeiter folgten. Mit ihnen gründete er die Computerfirma NeXT und entwickelte ein neues, innovatives Betriebssystem. Apple geriet inzwischen in eine Krise, und so bat man Jobs zehn Jahre später reumütig um seine Rückkehr. Wieder bei Apple machte er NeXT zum neue Betriebssystem für Apple und führte das marode Unternehmen an die Spitze der Tech-Branche.
Bei Jesus finden wir im Grund ein und denselben Plot: neue Idee, Verfolgung, Kreuzigung und Auferstehung. Dieses Muster, das in der Literatur und in Filmen immer wieder auftaucht, wurde von dem Amerikanischen Literaturwissenschaftler Joseph Campbell als „Heldenreise“ bezeichnet. Geschichten in Form der Heldenreise bilden offenbar die mythologische Grundlage sowohl für Religionen als auch für etliche Marken.
Die Vision
Der Bürgerrechtler und Pfarrer Martin Luther King Jr. gebrauchte in seinen Reden oft religiöse Metaphern, wie zum Beispiel das Wort „Vision“. Visionen waren lange dem religiösen Wirkungskreis vorbehalten. Meist handelte es sich um Erscheinungen einfacher Menschen, denen sich ein Heiliger, ein Engel oder – wenn man großes Glück hatte – die Gottesmutter selbst offenbarte. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man verständnisloses Kopfschütteln geerntet, wenn man einen Unternehmer nach seiner Vision gefragt hätte.
Heute gilt eine Vision als Grundvoraussetzung für die Gründung eines Unternehmens. Sie müssen Ihr „Why“ finden, wie der Management-Berater Simon Sinek empfiehlt. Die Überflusswirtschaft verschiebt das unternehmerische Handeln in eine spirituelle Sphäre, deren Stoff aus Visionen und mystisch aufgeladenen Geschichten gewebt ist.
Ein Mann mit einer großen Vision war Paulus von Tarsus, der als der eigentliche Erfinder des Christentums gilt. Rund um die Geschichten des Wanderpredigers Jesus entwickelte er eine neue Religion. Seine Vision war einfach: er wollte das Judentum, das grundsätzlich den Angehörigen des Volkes Israel vorbehalten war, für Nicht-Juden zugänglich machen. Er brachte damit eine Religion „for the rest of us“ auf den Markt. Steve Jobs’ Vision klang sehr ähnlich. Sein Anspruch bei der Gründung von Apple war es, einen Computer herzustellen, mit dem alle Menschen leicht umgehen könnten, nicht nur auserwählte Programmierer und technisch versierte Menschen. Es sollte ein „Computer for the rest of us“ sein, wie es in Werbespots hieß.
Marken stehen heute vor der gleichen Herausforderung wie Religionen damals. Beide brauchen eine Vision, um auf einem gesättigten Markt Anhänger zu gewinnen.
Zusammenfassung
Marken wie Apple bedienen sich ganz ähnlicher Methoden wie Religionen: Symbole und Tempel, Visionen und Legenden. Alles deutet darauf hin, dass einige Marken tatsächlich wie Religionen funktionieren. Beide scheinen – jede auf ihre Art – die selben menschlichen Bedürfnisse nach Orientierung, Sinn, Gemeinschaft und Moral zu erfüllen.
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* Unverbindliche Preisempfehlung
Armin Bonelli
2. Dezember 2024
Lesezeit: 9 Min