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Warum wir Selbstgemachtes lieben: Der IKEA-Effekt

Warum wir Selbstgemachtes lieben: Der IKEA-Effekt
Foto: Czapp Árpád

Studien zufolge sollen manuelle Tätigkeiten die Gedächtnisleistung erhöhen. Wer ein Möbel selbst zusammenbaut, entwickelt darüberhinaus eine stärkere Bindung zum Produkt.

20. Mai 2024     Lesezeit: 5 Min

Anfang der Neunziger-Jahre und ich richtete meine neue Wohnung ein. Ich war dabei, eine IKEA-Regal zusammenzubauen, daneben lief der Fernseher. Ich erinnere mich heute noch an den Film, der neben meiner handwerklichen Tätigkeit im Fernsehen lief. Fast scheint es, dass meine Aktivität die Erinnerung an diesen Film verstärkte.

Manuelle Tätigkeiten stimulieren das Gehirn

Manuelle Tätigkeiten sollen tatsächlich die Gedächtnisleistung erhöhen. In einigen fortschrittliche Unternehmen liegen daher Lego-Steine auf den Besprechungstischen, mit denen die Teilnehmer während des Meetings spielen sollen. Es ist erwiesen, dass dies zu mehr Kreativität und zu besseren Ideen führt. Es gibt aber noch einen anderen Effekt, der mit dem Zusammenbau zusammenhängt, der sogenannte „IKEA-Effekt“.

Das schwedische Möbelhaus IKEA begann in den 1950er-Jahren mit dem Verkauf von zerlegten Möbeln, wobei die Verantwortung für die Montage beim Käufer lag. Diese Strategie sollte Kostenvorteile für das Unternehmen bringen, aber im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass der Selbstbau auch die Bewertung der Produkte durch die Konsumenten maßgeblich beeinflusste. Es klingt einleuchtend, dass wir selbst gemachten Dingen einen höheren persönlichen Wert beimessen.

Selbstgemachten Dingen messen wir einen höheren Wert bei

Erstmals erwähnt wurde der IKEA-Effekt in einer Studie aus dem Jahr 2011, die im Journal of Consumer Psychology veröffentlicht wurde. Die Autoren Michael Norton und Dan Ariely machten folgenden Versuch: sie teilten eine Gruppe Studenten nach dem Zufallsprinzip in eine Baugruppe und eine Nicht-Baugruppe ein. Die Baugruppe sollte eine einfache Aufbewahrungsbox zusammensetzen, während die Nicht-Baugruppe eine bereits fertig zusammengebaute Box erhielt.

Anschließend fragten Norton und Ariely die Teilnehmer nach ihrer Zahlungsbereitschaft für dieses Produkt. Weiters sollten sie auf einer 7-Punkte-Skala bewerten, wie gut ihnen die Box gefiel. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Teilnehmer, die ihre Boxen selbst zusammengebaut hatten, diese besser fanden und auch bereit waren, mehr dafür zu zahlen, als die Teilnehmer mit den fertigen Boxen. Auch hatten diejenigen, die ihre Boxen selbst gebaut hatten, eine stärkere Bindung zum Produkt entwickelt.

Kunden als unfreiwillige Arbeitskräfte

Der US-amerikanische Comedian Sebastian Maniscalco beklagte 2012 in seinem Programm „What’s Wrong With People?“ die Entwicklung, dass der Kunde im Handel inzwischen selbst die Arbeit machen muss: „Sie haben uns Selbstbedienungskassen aufgestellt und gesagt: macht es doch selbst! Aber wieso arbeite ich jetzt im Supermarkt? Und niemand kennt sich aus, es herrscht totale Verwirrung. Wir wurden ja nicht an diesen Maschinen eingeschult. Die Mitarbeiter hatten dafür ein dreiwöchiges Training, aber wir müssen ohne die geringste Ahnung loslegen…“

Der Soziologe Günter Voß veröffentlichte gemeinsam mit der Psychologin Kerstin Rieder im Jahr 2005 den Artikel: „Der arbeitende Kunde“. Die Wissenschaftler untersuchten, inwieweit Konsumenten zunehmend als unbezahlte Arbeitskräfte in betriebliche Funktionsprozesse eingebunden werden. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als die Kunden vom Unternehmen persönlichen Service erhielten, müssen sie heute vermehrt selbstständig handeln. Konsumenten sind zwar wesentlich autonomer und informierter als früher, allerdings sind sie mehr denn je in die Prozesse der Unternehmen einbezogen, ohne eine echte Wahl zu haben.

Für IKEA zahlt sich das sogar doppelt aus. Einerseits spart der Kunde als unbezahlter Mitarbeiter dem Konzern wertvolle Ressourcen. Andrerseits schätzen Menschen Dinge besonders, wenn sie aktiv an ihrer Entstehung beteiligt sind. Dieses gute Gefühl führt dazu, dass IKEA-Kunden gerne wieder kommen. Die Freude über die eigene Leistung beeinflusst die Bewertung eines Artikels, wie auch andere Studien belegen. In einem anderen Versuch fanden Sören Köcher von der TU Dortmund und Keith Wilcox von der Texas A&M University heraus, das Auswirkungen der Eigenleistung weiter reicht als angenommen.

Eigenleistung stärkt das Selbstvertrauen

Personen, die Werkzeuge oder andere Gegenstände eigenhändig zusammengebaut hatten, erbrachten anschließend auch bessere Leistungen als jene, die vergleichbare Fertigprodukte verwendeten. Die Probanden, die ihren Golfschlägern selbst zusammenschrauben mussten, hatten danach bessere Ergebnisse beim Golfspiel. Teilnehmer, die ihre Kugelschreiber zusammensetzen mussten, waren anschließend besser im Lösen von Rätsel.

„Das eigenständige Zusammenbauen stärkt das Vertrauen in die eigene Fähigkeiten“
Sören Köcher

Personen, die bereits ein Erfolgserlebnis haben, gehen mit mehr Selbstvertrauen an die nachfolgenden Aufgaben heran und bewältigen diese auch erfolgreicher. Dabei spielte es offenbar keine Rolle, dass der Zusammenbau sehr simpel zu bewerkstelligen war. Auch wenn der Golfschläger nur aus zwei Teilen bestand, steigerten die dazu notwendigen Handgriffe das Selbstvertrauen und die Leistung der Probanden.

Auch wenn es Ihnen vielleicht keinen Spaß macht, einen Billy oder ein Bettgestell zusammenbauen, denken Sie daran, dass Sie das Produkt mehr schätzen werden, als wenn Sie es fix und fertig kaufen. Darüber hinaus ist es wahrscheinlicher, dass Sie auch das nächste Mal wieder bei IKEA einkaufen.

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Armin Bonelli

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20. Mai 2024

Lesezeit: 5 Min