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Haben Marken Persönlichkeit?

Haben Marken Persönlichkeit?
Foto: Matheus Bertelli

Wir sehen Gesichter in Bäumen und lassen Autos in Filmen sprechen. Auch in Marken sehen wir unwillkürlich eine Persönlichkeit.

15. Juli 2024     Lesezeit: 8 Min

In Kinderbüchern erleben wir eine Welt, in der Bäume Gesichter tragen und Tiere die Fähigkeit zu sprechen besitzen. Ein Weltbild, dem zufolge Objekte beseelt sind, wird als „Animismus“ bezeichnet. Vor wenigen Jahrhunderten noch glaubte man fest daran, dass jedes Ding in der Natur – Sonne, Wolken, Bäume und auch der Wind – eine Seele und eine eigene Persönlichkeit besaß. Dieses Phänomen hat vor allem in Kinderbüchern bis zum heutigen Tag überlebt.

In unserer modernen digitalen Ära lebt dieser alte Animismus wieder auf, insbesondere wenn neue Funktionen unseren alltäglichen Gegenständen eine magische Kraft verleihen.

Lebende Autos in Filmen und Serien

Obwohl die Aufklärung uns Menschen in eine rationalere Weltsicht geführt hat, ist die fantasievolle Vorstellung von den lebendigen Dingen bis heute erhalten geblieben. In der Filmwelt werden Autos zu lebendigen Wesen, wie der sympathische Käfer „Herbie“ aus den Disney-Filmen der 1960er-Jahre, der schwarze Pontiac Firebird mit dem Namen „K.I.T.T.“ aus der Serie „Knight Rider“, oder die animierten Autos aus dem Animationsfilm „Cars“ aus dem Jahr 2006.

Es scheint, dass wir ganz instinktiv davon ausgehen, dass die Dinge, die uns umgeben, auf die eine oder andere Weise lebendig sind und menschliche Züge aufweisen. Wir glauben in Autos Gesichtsausdrücke zu erkennen, denen wir Gefühle und Charakterzüge zuschreiben.

Wir sehen in allen Formen nach Gesichtern

Als Kind starrte ich im Haus meiner Großmutter stundenlang aus dem Fenster, wo eine riesige, alte Eiche stand. In einer hellen Mondnacht konnte ich unzählige Gesichter entdecken, von denen mir die einen freundlich erschienen, die anderen wiederum als grimmig und böse.

Auch in Gebirgsketten und Felsformationen meinen wir Tiere und Menschen zu erkennen, die uns zu Sagen und Legenden inspirieren. In Tirol erzählt man sich die Geschichte von der kaltherzigen Königin Frau Hitt, die der Sage nach zu Stein verwandelt wurde und seitdem als Felsvorsprungs Teil der Innsbrucker Nordkette ist.

„Es besteht eine allgemeine Neigung unter den Menschen, sich alle Wesen ihnen ähnlich vorzustellen und auf jeden Gegenstand diejenigen Eigenschaften zu übertragen, mit denen sie näher vertraut und die dem Bewusstsein besonders gegenwärtig sind.“
David Hume, Philosoph und Ökonom

Es ist unser Instinkt, in jedem Objekt etwas zu Menschliches erkennen. Bei einem Auto erkennen wir die Scheinwerfer als Augen und den Kühlergrill als Mund. Wir attestieren dem Fahrzeug damit eine bestimmte Gemütsverfassung. Autodesigner wissen das und gestalten die Frontpartie bewusst, um dem Fahrzeug ein freundliches Gesicht oder einen „bösen Blick“ zu verleihen. Diese Gesichter beeinflussen das Bild, das wir uns von einer Marke machen.

Marken bekommen eine Persönlichkeit

Wenn wir in Marken menschliche Eigenschaften sehen, dann ist in der Fachsprache von „Markenpersönlichkeit“ die Rede. Sie ist die Summe der menschlichen Eigenschaften, die die Konsumenten einem Produkt oder einem Unternehmen zuschreiben. Diese wahrgenommene oder projizierte Persönlichkeit ermöglicht es uns, eine Beziehung mit einer Marken einzugehen, die über den faktischen Nutzen der Produkte weit hinausgeht.

Wir können mitunter eine emotionale Bindung entwickeln, die nichts mehr mit rationaler Beurteilung von Produkteigenschaften zu tun hat. Tatsächlich gehen zahlreiche Menschen eine lebenslange Beziehung mit ihrer Lieblingsmarke ein, die auf gemeinsamen Werten und dem Gefühl von Vertrautheit basiert.

Wir bevorzugen, was unserer eigenen Persönlichkeit ähnelt

Konsumenten neigen dazu, jene Produkte und Dienstleistungen zu bevorzugen, die ihre eigenen Werte und Persönlichkeitsmerkmale widerspiegeln. Eine so entstandene emotionale Verbindung kann einen erheblichen Einfluss auf Kaufentscheidungen haben. In der Welt des Marketings kann die Entwicklung so einer Markenpersönlichkeit zu einem entscheidenden Faktor für den langfristigen Erfolg des Unternehmens werden.

Der Psychologe John Holland erklärte dieses Phänomen mit seiner Kongruenzhypothese. Laut Holland neigen Menschen dazu, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und so ein Umfeld zu schaffen, das ihre Persönlichkeit widerspiegelt. Die Kongruenzhypothese wird auch im Bereich der Marken angewendet. Demnach streben Menschen danach, ihre Persönlichkeit durch Marken auszudrücken. Dies führt dazu, dass Konsumenten Marken bevorzugen, deren Persönlichkeit mit ihrem eigenen Selbstkonzept übereinstimmt.

Maskottchen als Träger der Markenpersönlichkeit

Viele Marken, die auf Kinder ausgerichtet sind, verwenden ein Maskottchen, um der Markenpersönlichkeit ein Gesicht zu geben. Dabei handelt es sich meist um ein vermenschlichtes Tier, das von Kindern leicht wiedererkannt wird.

In meiner Kindheit gab es den Hustinetten-Bär, damals eine der beliebtesten deutschen Werbefiguren, dessen Comic-Geschichten der Packung mit den Hustenbonbons beilagen. „Tony der Tiger“ ist das bekannte Maskottchen der Kellog’s Frosties, das seit den 1950er-Jahren existiert. Diese Maskottchen bieten Kindern ein Gesicht zur Wiedererkennung und ermöglichen ihnen so eine leichtere Personifizierung des Produkts, und damit eine stärkere Bindung an die Marke.

Die 1970er-Jahren bildeten den Höhepunkt der Marken-Maskottchen. Der Einzug des Farbfernsehen inspirierte die Werbeagenturen zu bunten, animierten Figuren. Aus dieser Zeit stammen der Bausparfuchs von Schwäbisch Hall und das berühmte Duracell-Häschen. Auch die lila Milka-Kuh erblickte in dieser Zeit das Licht der Fernsehschirme. Dafür wurde die Kuh „Adelheid“ im Schweizer Simmental unter tierärztlicher Aufsicht mit wasserlöslicher Farbe besprüht, eine Prozedur, die mehrere Stunden dauerte. Als Adelheids Nachfolgerin „Schwalbe“ am Ende ihrer Karriere geschlachtet werden sollte, bildete sich prompt eine Bürgerbewegung, und Schwalbe wurde gerettet.

Marken als Beziehungspartner

Forscher sind der Meinung, dass Menschen Beziehungen zu Marken gleichermaßen erleben wie zu anderen Menschen. Die Marke fungiert demnach als lebendiger Beziehungspartner. Das ist deshalb möglich, da Marken als Persönlichkeiten wahrgenommen werden.

Susan Fournier von der Boston University hat nachgewiesen, dass wir Menschen in der Welt der Marken nach langfristigen Partnern suchen und mit einer oder mehreren davon eine stabile Beziehung aufbauen.

„Menschen wählen ihre Marken auf die gleiche Weise aus, wie sie ihre Freunde auswählen.“
Stephen King, Marketingstratege

Diese Beziehungen weisen erstaunliche Parallelen zu zwischenmenschlichen Bindungen auf. Hinweise darauf gibt auch die Hirnforschung. Die emotionalen Reaktionen, die wir beim Erleben unserer Lieblingsmarke haben, sind ähnlich denen, die Menschen gegenüber einem Freund oder geliebten Menschen empfinden.

Marken mit heilenden Kräften

Die Wissenschaftler Martin Reiman, Sandra Nuñez und Raquel Castaño wollten herausfinden, ob die Lieblingsmarke wie ein Freund auch Leid lindern kann. In ihrem Artikel „Brand-Aid“ im Journal of Consumer Research erläutern sie, dass Marken als menschenähnliche Beziehungspartner fungieren, die uns das Gefühl sozialer Verbundenheit vermitteln können.

In Versuchen stellten sie fest, dass Personen, die von ihrer Lieblingsmarke „getröstet“ wurden, deutlich weniger Schmerz verspürten. Die Forscher haben darüberhinaus festgestellt, dass der Schmerz stärker gelindert wurde, wenn es sich um Marken handelte, denen menschliche Eigenschaften zugeschrieben wurden. Je menschlicher die Markenpersönlichkeit, desto stärker war der heilende Effekt.

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Armin Bonelli

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15. Juli 2024

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