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Rivalen: Warum Marken einen Erzfeind brauchen

Rivalen: Warum Marken einen Erzfeind brauchen
Foto: Cottonbro Studio

Rivalisierende Marken sind eine wunderbare Gelegenheit, um in der modernen Welt die Verbundenheit mit einem Stamm zu erleben und gleichzeitig mit einem Gegner zu konkurrieren.

27. Mai 2024     Lesezeit: 10 Min

„Ich würde mir nie einen BMW kaufen, das ist ein Auto für Angeber!“ rief Werner. Natürlich hätte Werner stattdessen sagen können, dass er kein Angeber war oder dass er nicht als Angeber wahrgenommen werden möchte. Stattdessen nutze Werner die Marke BMW, um uns seine persönlichen Werte und Normen mitzuteilen. Wir wissen aufgrund seiner Aussage, dass Werner prahlerisches Verhalten für unerwünscht hält.

Wir nutzen Marken zur Abgrenzung

Wie viele Menschen nutzt Werner verschiedene Marken und deren Eigenschaften – sowohl in der Zustimmung als auch in der Ablehnung –, um Wertvorstellungen und weltanschauliche Positionen auszudrücken. Marken sind Vermessungspunkte, an denen wir Werte und Verhaltensnormen festmachen. Sie haben sich als Stützsystem unserer Gesellschaft etabliert und damit Stände, Glaubensgemeinschaften und sogar die Familie zu einem Gutteil abgelöst.

„Ich kaufe keine Produkte von Apple, ich lasse mich nicht in ein geschlossenes System zwängen“, sagt Björn ablehnend. Natürlich könnte Björn diese Aussage auch ohne die bekannte Marke formulieren, zumal darin nicht nur eine Vorliebe für technische Produkte zum Ausdruck kommt, sondern auch sein starker Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen. Mithilfe einer Marken gelingt es Björn leichter, seine Überzeugung klarzumachen. Große Marken verkörpern Werte und Normen, an denen wir uns orientieren können, in Zustimmung oder der Abgrenzung.

Björn ist BMW-Fahrer, ganz im Gegensatz zu Werner. Dabei gibt es nur noch geringe Unterschiede zwischen den Produkten der verschiedenen Autohersteller. Die Fahrzeuge von Mercedes, BMW, Audi und VW unterscheidet sich innerhalb der gleichen Kategorie nur noch geringfügig voneinander. Die Autoindustrie ist soweit konsolidiert, dass die Abweichungen zwischen den verschiedenen Herstellern gering sind. Hat man früher noch gehört, Volvo sei besonders sicher, französische Autos rosteten schnell, BMW habe eine gute Straßenlage und VW sei sparsam im Verbrauch, so gibt es diese Unterschiede heute kaum noch. Die starken Preisabweichung ergeben sich fast ausschließlich aus dem Wert und dem Image der Marke.

Der Narzissmus der kleinen Differenzen

Warum fühlen wir uns aber zu einer Marke hingezogen und von einer anderen abgestoßen, wenn die Unterschiede so gering sind? Noch dazu, wenn es sich wie bei Mercedes, BMW und Audi nicht nur um ähnliche Produkte, sondern auch um Marken mit ähnlichen Werten und Eigenschaften handelt? Wieso fällt unser Urteil in solchen Fällen mitunter so vehement aus? Dieses eigenartige Phänomen bezeichnete Freud als „Narzissmus der kleinen Differenzen“. Er glaubte, dass es den gemeinschaftlichen Zusammenhalt unterstütze, wenn die Aggression nicht nach innen, sondern stattdessen auf benachbarte Gemeinschaften gerichtet werden, obwohl oder gerade weil diese der eigenen Gruppe sehr ähnlich seien.

Jede Gemeinschaft ist bemüht, sich von anderen Gruppierungen abzugrenzen. Durch Betonung und Überhöhung der Unterschiede entsteht erst das gemeinsame Bewusstsein, das eine Gemeinschaft zusammenhält. Vom Politikwissenschaftler Karl Deutsch stammt die Aussage: „Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die durch einen gemeinsamen Irrtum hinsichtlich ihrer Abstammung und eine gemeinsame Abneigung gegen ihre Nachbarn geeint ist.“

So überhöhen Österreicher gerne die Merkmale, die sie von Deutschen unterscheiden, obwohl die Gemeinsamkeiten die Unterschiede deutlich überwiegen. Der franko-belgische Detektiv Hercule Poirot aus den Romanen von Agatha Christie ist verstimmt, wenn er irrtümlich für einen Franzosen gehalten wird. Für einen Außenstehenden mag die Rivalität zwischen den Fans der fiktiven Welten von Star Trek und Star Wars kauzig wirken, handelt es sich doch in beiden Fällen um Filmserien des Science-Fiction-Genres.

Beatles oder Rolling Stones?

In den 1960er-Jahren verbreiteten die Medien die angebliche Rivalität zwischen den Beatles und die Rolling Stones. Dies führte dazu, dass viele junge Leute das Gefühl hatten, sich für eine der Bands entscheiden zu müssen. Aufgrund dieser Präferenz glaubte das Umfeld dann, ein Profil über die jeweilige Person, ihren Charakter und ihren Lebensstil ableiten zu können. Dabei wurden beide Musikgruppen Anfang der 1960er-Jahre gegründet, beide kamen aus England, beide bestanden aus je vier Musikern, die alle nahezu gleich alt waren.

Freud war der Überzeugung, dass diese schrullige Angewohnheit der Menschen in Wahrheit ein wichtiges Instrument sei, um eine Gemeinschaft zu entwickeln. Die Identität einer Gruppe ist demnach nichts anderes als ein Konzept, für das es neben der Überhöhung der Gemeinsamkeiten auch die Abgrenzung von den „anderen“ notwenig sei. Da die Menschen in grauer Vorzeit meist nur mit dem Nachbarstamm in Kontakt kamen, mussten die kleinsten Differenzen ausreichen, um diese Abgrenzung festzumachen.

Im Film „Das Leben des Brian“ der britischen Komikergruppe Monty Python aus dem Jahr 1979 agitiert eine kleine Gruppe namens „Volksfront von Judäa“ gegen die römischen Besatzer. Als wahre Gegner betrachten sie allerdings eine konkurrierende Gruppe, die ihrer eigenen zum Verwechseln ähnelt.

„Es gibt Typen, die wir noch mehr hassen als die Römer: diese verfluchten Judäischen Volksfront Mistkerle!“
John Cleese in ,Das Leben des Brian‘

Rivalität im Klassenzimmer

Als Konsumenten stehen wir oft vor der Wahl zwischen zwei rivalisierenden Marken, und wir nehmen gerne an diesen Glaubenskriegen teil. Schon im deutschen Klassenzimmer standen die Schüler vor der Entscheidung: Pelikan oder Geha? Die zwei deutschen Füllermarken haben eine lange Geschichte der Rivalität. Geha brachte 1950 die erste Tintenpatrone auf den Markt und forderte den Markführer Pelikan heraus.

Die Fehde zwischen den beiden Unternehmen fand auch in den Medien statt, wo sie um die Gunst der Verbraucher warben. Der „Pelikano-Junge“ und der „Reservetank“ von Geha waren Schlüsselakteure in dieser Werbeschlacht. Dieser Wettstreit wurde im Klassenzimmer weitergeführt. Der jeweilige Füller, den ein Mitschüler in seinem Federmäppchen hatte, verriet alles über dessen Persönlichkeit, seinen sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund. Im Glaubenskampf um die Schreibgeräte wurden Kriege erklärt, Fechtduelle ausgetragen und Freundschaften beendet.

Die Rivalität endete 1990, als Pelikan Geha übernahm. Wie so oft profitierte ein dritter von diesem Wettstreit: das Heidelberger Unternehmen Lamy, das mit dem Modell Safari den heute weltweit meistverkauften Füller auf den Markt brachte.

Levi’s für Demokraten, Wrangler für Republikaner

Ein Artikel des Wall Street Journal mit dem Titel „Sind Ihre Jeans rot oder blau?“ beleuchtet eine neue Tendenz in der amerikanischen Konsumkultur, die politische Parteilichkeit zeigt. Die Marke Levi’s wird von städtischen Demokraten bevorzugt, während Wrangler, ein Konkurrent, von ländlichen Republikanern favorisiert wird. Wrangler ist in den Cowboy-Counties des Westens und Mittleren Westens beliebt, während das in San Francisco ansässige Unternehmen Levi’s eher bei Stadtbewohnern Anklang findet.

Die historische Bedeutung von Marken wie Levi’s ist politisch geprägt und spiegelt die Americana-Ästhetik und die Arbeiterwelt wider. Diese politischen Konnotationen existieren schon seit den 1980er-Jahren und haben sich in einer Zeit verstärkt, in der Luxus, Mode und Politik enger miteinander verknüpft sind, insbesondere in Bezug auf gesellschaftspolitische Themen wie Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit und Geschlechterneutralität.

„Verbraucher stimmen nicht nur bei Wahlen ab, sie stimmen auch in den Geschäften ab, indem sie Marken wählen, die ihren Werten entsprechen“
Richard Edelman, PR-Experte

Fast 60 Prozent der US-Amerikaner gaben in einer von Edelman durchgeführten Umfrage im Jahr 2018 an, dass sie eine Marke aufgrund ihrer Haltung zu gesellschaftlichen Themen wählen, wechseln, meiden oder boykottieren würden. Das sei ein Anstieg von 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Der typische Nikon-Besitzer hat eine Katze

Canon und Nikon sind zwei der bekanntesten Marken in der Welt der Fotografie und haben jeweils ihre eigene Philosophie und Anhängerschaft. So gering die Unterschiede in Technik und Handhabung der jeweiligen Kameras sein mögen, so unterschiedlich ist das Image der beiden Marken.

Nikon wird oft mit Robustheit und schneller Reaktionszeit assoziiert. Nikon-Käufer sehen sich selbst in der Tradition von Fotojournalisten, Sportfotografen und Kriegsberichterstattern. Das Image von Canon verspricht weniger Action. Mit Canon verbinden viele Menschen Studiofotografie mit künstlerischem Anspruch.

Eine Statistik der britischen Plattform YouGov ergab, dass der typische Canon-Besitzer gerne liest, sich für Architektur und Design interessiert und eine Vorliebe für Science-Fiction-Filme wie „2001: Odyssee im Weltraum“ und „Blade Runner“ hat. Sein klassisches Haustier ist ein Fisch.

Als typische Nikon-Fotografin ermittelte YouGov eine Person, die einen technischen Beruf ausübt, und der körperliche Aktivität und Sport wichtig sind. Im Urlaub bewegt sie sich gerne abseits der ausgetretenen Pfade und ist Fan von Star Wars. Typisches Haustier der Nikon-Anhänger ist eine Katze, soweit die Einschätzung von YouGov.

Warum wir polarisiert denken

Diese stereotypen Darstellungen vermitteln einen Eindruck, wie wir Marken dazu nutzen, um uns selbst in der Welt einzuordnen. Das funktioniert noch besser, wenn wir lediglich zwei Möglichkeiten zur Auswahl haben. Dieser Vorgang, den die Psychologie als polarisiertes Denken bezeichnet, ist eine kognitive Verzerrung, die uns grundsätzlich gute Dienste leistet, indem sie uns hilft, komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen und Probleme rascher zu lösen.

Aus diesem Grund meinen wir oft vor der Entscheidung zwischen zwei Marken zu stehen, obwohl es tatsächlich mehrere Anbieter gäbe: Coca Cola und Pepsi, Apple und Samsung, Mercedes und BMW, McDonalds und Burger King, Nike und Reebok.

Wir lieben Duelle, so wie das Derby der beiden Lokalmatadore und das Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Spitzenkandidaten. Dabei geht es immer um eine Frage: „Zu welcher Seite gehörst du?“ Denn das, so meinen wir, sagt alles über eine Person aus.

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Armin Bonelli

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27. Mai 2024

Lesezeit: 10 Min